Auf der Walroute
Die perfekte Mischung aus Roadtrip und Whale Watching: drei Wochen auf der Walroute in Québec.
Belugas in der Baie de Sainte Marguerite. Nirgendwo auf der Welt kann man sie so weit südlich treffen wie hier. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Walfahrt: Québec
Ein bisschen Frankreich, ein bisschen Kanada, das ist so ungefähr das Grundgefühl, wenn man drei Wochen lang durch Québec fährt.
Die Realitäten wurden uns gleich am ersten Abend aufgezeigt: Wir saßen in einem kleinen Restaurant in Québec und der nette junge Kellner hatte den ganzen Abend über immer wieder mal alte und für unsere Ohren eher ungebräuchliche französische Worte benutzt. Zum Nachtisch sprachen wir ihn darauf an: dass man hier in Québec also wirklich ein etwas anderes Französisch spricht als das echte Französisch in Frankreich. Oder?
Daraufhin hat sich der nette junge Kellner zu uns gesetzt, Stift und Serviette zur Hand genommen und uns ganz in Ruhe die Situation erklärt:
Als erstes hat er einen kleinen Kringel auf die Serviette gemalt, etwa daumennagelgroß. »Also, das hier ist Frankreich, okay?« Dann hat er einen zweiten Kringel auf die Serviette gemalt. Etwa handflächengroß. »Und das hier ist Quebec.« Da dämmerte uns, worauf er hinaus will. »Die Menschen in Frankreich sprechen das falsche Französisch. Nicht wir. Wir in Québec sprechen das Richtige. Versteht ihr?«
Die Walroute führt zwischen Tadoussac und Blanc-Sablon gut 1.700 Kilometer die Ostküste entlang, vorbei an endlosen Stränden, schroffen Steilküsten und weißen Leuchttürmen. Und durch verschlafene kleine Dörfchen hindurch. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Es ist ja immer gut, wenn man die Dinge ein bisschen visualisiert bekommt, da wird oft einiges klarer. Zumal am ersten Abend, bevor man zum großen Roadtrip aufbricht. Québec: großer Kringel; Frankreich: kleiner Kringel. Soweit die Grundregeln hier.
Wir haben das später nachgelesen: Québec ist gut dreimal größer als Frankreich – allerdings leben in Frankreich gut achtmal mehr Menschen. Da waren wir jedoch schon wieder im Hotel. Der nette junge Kellner hätte sicher auch in dieser Frage eine einleuchtende Erklärung gehabt, warum trotzdem Québec und nicht Paris das französische Zentrum der Welt ist.
Wir waren schon einige Male in Kanada, einmal in den Rockies, einmal an der Sunshine Coast, ein paar Mal auf Vancouver Island. Und mir ist dabei nie so richtig aufgefallen, dass Kanada ein durchgängig zweisprachiges Land ist. Auf allen Schildern, egal wo, steht immer alles auf englisch und französisch, ich hatte das bislang stets etwas überlesen.
Das Grundgefühl in Québec ist erstmal französisch. Anfangs dachte ich, man käme hier mit Englisch locker durch, das ist schließlich immer noch Kanada. Aber das funktioniert nicht, das lernt man gleich beim erstbesten Smalltalk. Genau wie in Frankreich. Und nicht umsonst hängt überall die blau-weiße Fahne: Das hier ist Quebec, nicht Kanada. 1995 stimmten in einem Referendum über die Abspaltung von Kanada 49,42 Prozent der Menschen mit Ja und 50,58 Prozent mit Nein. Quebec: großer Kringel; Kanada: minimal größerer Kringel.
Das Grundgefühl in Québec ist also durchaus auch kanadisch, dafür sorgen z.B. die endlosen Weiten. Man kann hier tagelang herumfahren, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen. Québec ist das Land der Elche und Bären. Wie überall sonst in Kanada fährt man hier mit einem Pickup herum, für den es wie überall sonst in Kanada auch unendlich viel Platz zum Parken gibt. Auch die Boulangerien erinnern daran, dass man nicht in Frankreich ist: Sie heißen zwar so wie in Frankreich, sind aber nicht annähernd so gut. So leid es mir tut!
Wo Québec außerdem zu 100 Prozent Kanada und überhaupt gar nicht Frankreich ist: Whale Watching! Es gibt sogar einen Roadtrip mit dem Namen »Die Walroute«. Und Roadtrips mit Walen sind natürlich genau unser Ding.
Der Percé Rock auf der Gaspesie-Halbinsel. Er sieht vor allem abends mit einem Strandbier in der Hand sehr schön aus. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Québec: Walroute
Auf der Walroute kann man allen möglichen Walarten begegnen. Die Vielfalt entlang des Sankt Lorenz dürfte einmalig auf der Welt sein.
Die Walroute führt zwischen Tadoussac und Blanc-Sablon gut 1.700 Kilometer die Ostküste entlang, vorbei an endlosen Stränden, schroffen Steilküsten und weißen Leuchttürmen. Alles hier fühlt sich nach verträumtem Fischerdorf in der Normandie an. Mit dem Unterschied, dass der Sankt-Lorenz-Strom eines der walreichsten Gewässer der Welt ist.
Man kann hier Zwergwale, Finnwale und Buckelwale beobachten, ebenso Blauwale und Belugas, mit viel Glück sogar Nordkaper, von denen es nur noch wenige Hundert auf der Welt gibt. Zudem hat sich vor einiger Zeit auch ein einzelner Narwal aus der Arktis hierher verwirrt, er wird regelmäßig gesichtet. Diese Vielfalt dürfte einzigartig auf der Welt sein.
Wir sind die Walroute von Tadoussac (sehr hübsch!) über Sept-Iles bis Mingan gefahren, das ist ungefähr die Hälfte der Strecke. Unterwegs kann man in jedem halbwegs größeren Ort anhalten und entweder mit dem Boot oder von Land aus Wale beobachten. Tadoussac und Bergeronnes sind die Hotspots, hier kommen alle her. Ich komme später darauf zurück.
Je weiter man nach Norden fährt, desto abgeschiedener ist man. In Mingan haben wir die Forscher und das Walmuseum von Mingan Island Cetacean Studies besucht. In den Gewässern vor Anticosti führt MICS Langzeit-Beobachtungen durch, vor allem von Blauwalen, seit einiger Zeit kommen auch die Nordkaper von Massachusetts und Maine hierher.
Das Tolle: Die Forscher nehmen Touristen mit auf ihre Touren und finanzieren damit ihre Arbeit. Mit MICS kann eine Tour schon mal zehn Stunden dauern, die ganze Zeit im Schlauchboot, gemeinsam werden Wale markiert, Fluken und Finnen identifiziert und Verhaltensweisen dokumentiert. Ein Tag lang echtes Forscherleben.
Theresa im kleinen Walmuseum der Mingan Island Cetacean Studies des Blauwal-Forschers Richard Sears. Man fühlt sich sofort zuhause hier. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Nächster Halt: die Gaspesie-Halbinsel! Auf der Überfahrt haben wir im Minutentakt Schweinswale gesehen. Schweinswale sind die kleinsten aller Wale, um die zwei Meter, und immer sind sie nur für eine Millisekunde zu sehen. Aus hundert Versuchen sind vielleicht ein oder zwei brauchbare Fotos entstanden. Es gibt noch viel zu lernen.
Man braucht eine gute Woche, um einmal um die Gaspesie herum zu fahren. Die Steilküsten sind noch etwas steiler und die Wälder noch etwas wilder als auf der Walroute. Mit den spektakulären Parks in den Canadian Rockies und auf Vancouver Island können die Parks an der Ostküste nicht ganz mithalten – der Forillon Nationalpark auf Cap Gaspé dagegen schon.
Von hier nicht weit ist der kleine Küstenort Percé mit dem riesigen Percé Rock direkt vor der Tür. Den wollten wir unbedingt sehen. Ein leuchtend oranger Steinklotz, der sich jedes Jahr ein paar Zentimeter weiter vom Festland weg bewegt. Er sieht vor allem abends mit einem Strandbier in der Hand sehr schön aus. Wir sind ein paar Abende geblieben.
Ein Buckelwal-Bulle namens »Gaspard«. Ohne mindestens ein Boot um ihn herum ist er leider so gut wie nie zu sehen. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Québec: Whale watching
Nach ein paar Tagen saßen wir enttäuscht in der Küche und haben diskutiert, ob wir das Whale Watching jetzt erstmal sein lassen.
Es kam ein bisschen unerwartet, aber nach ein paar Tagen saßen wir enttäuscht beim Frühstück und haben diskutiert, ob wir unseren Québec-Besuch verkürzen und früher weiter an die Westküste fahren. Oder ob wir zumindest das Thema Whale Watching bis auf weiteres einstellen und die nächsten Wochen nur noch wandern gehen.
Nach der ersten Tour waren wir noch verwundert. Vielleicht hatten wir einfach Pech und einen schlechten Anbieter erwischt. Nach der zweiten Tour mit einem anderen Anbieter waren wir etwas besorgt. Nach der dritten Tour mit einem weiteren Anbieter saßen wir in der Küche und diskutierten. Dreimal kann kein Pech sein.
Nirgendwo in Kanada gibt es so viele Wale wie an der Ostküste. Und nirgendwo gibt es so viele Anbieter. Und so viele Whale Watcher. Diese Kombination führte bei unseren Touren dazu, dass auf jeden gesichteten Wal umgehend bis zu acht (!) Boote kamen, die den Wal ausdauernd belagerten. Viel zu nah, viel zu lange, manche Wale wurden regelrecht verfolgt.
Ein Zwergwal, der von fünf Booten gleichzeitig begleitet wird. Wir haben die Sache mit dem Bootfahren dann erstmal ein bisschen gelassen. Es ist leider wahnsinnig voll im Saint Lawrence. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Bei einer guten Whale-Watching-Tour hat man einen Guide an Bord, der erklärt, einordnet und im besten Fall selbst total begeistert ist, auch bei der hundertsten Sichtung. Ein guter Guide kann die Begeisterung nach der Tour in die richtigen Bahnen lenken. Zum Beispiel über ein paar Hinweise, mit welchen Problemen Wale, das Meer und die Umwelt allgemein zu kämpfen haben. Und was man im Alltag zuhause dagegen tun kann.
Der Sankt-Lorenz-Strom zum Beispiel ist ein heillos verschmutztes und vom Schiffsverkehr extrem belastetes Gebiet. Lärm, Netze, Kollisionen – die Wale im Sankt-Lorenz haben es alles andere als leicht. Ein guter Guide könnte zum Beispiel auch darüber mal ein paar Worte verlieren. Manchmal geht es auch darum, überhaupt erst ein Bewusstsein zu schaffen.
Bei unseren Touren wurden wir jedoch dreimal einfach in ein Boot gesetzt und eilig zu irgendeinem Wal gehetzt. Der wurde dann so lange begleitet/verfolgt, bis alle an Bord ein Instagram-taugliches Fluken-Foto im Kasten hatten. Zwischendurch wurde routiniert heruntergespult, welche Art von Wal man gerade fotografiert hat, dann ging es weiter zum nächsten Wal. Wie im Zoo, nur ohne Gitter.
All das, was eine gute Whale-Watching-Tour ausmacht, haben wir bei unseren drei Touren nicht erlebt. Und uns fehlte anschließend leider wirklich das Vertrauen, jetzt noch einen vierten Anbieter auszuprobieren. Wir haben daher beschlossen, entlang der Walroute keine weiteren Touren mehr zu buchen, schon gar nicht rund um Tadoussac und Bergeronnes.
Außerdem ist man gerade in Québec nun wirklich nicht auf Boote angewiesen. Entlang der Walroute gibt es nämlich nicht nur wahnsinnig viele Whale-Watching-Anbieter – sondern auch jede Menge Orte, an denen man Wale sehr gut von Land aus beobachten kann – und das macht sogar richtig Spaß!
Viel besser als Bootfahren: Die kleine Walbeobachtungs-Station am Cap de Bon Desir. Bei gutem Wetter sitzt man auf den Felsen direkt am Ufer. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Québec: Landbeobachtung
Man sitzt einfach stundenlang am Ufer und wartet und guckt und hofft. Irre langweilig. Und irre aufregend, gerade für Kinder.
Wale von Land aus zu beobachten, ist eine ganz phantastische Idee. Man setzt sich einfach auf die Felsen und wartet. Entlang der Walroute gibt es einige Orte, an denen das sehr gut geht – am besten am Pointe de l’Islet in Tadoussac, am Cap de Bon Desir nördlich von Bergeronnes und in der Baie de Sainte Marguerite im Saguenay Fjord; man kann hier aber wirklich an jedem Strand mit halbwegs guter Sicht Glück haben.
Am Cap de Bon Desir gibt es ein kleines Wal-Zentrum mit Info-Tafeln und Guides, die all das mitbringen, was die Guides an Bord unserer Boots-Touren leider dreimal nicht dabei hatten: Zeit, Wissen und Begeisterung.
Vielleicht ist das sogar eine der schönsten Sachen beim Whale Watching: die Zeit. Und die Ungewissheit. Man sitzt da einfach stundenlang in der Sonne herum und wartet und guckt und hofft. Das ist einerseits irre langweilig und andererseits irre aufregend. Wenn man Pech hat, sitzt man da den halben Tag völlig umsonst. Man muss schon Glück haben.
Am Cap de Bon Desir saßen wir gute fünf, sechs Stunden. Erst im kompletten Nebel, keine zehn Meter Sicht. Ein paar Mal haben wir den Blas eines Wals gehört. Auf den Felsen vielleicht zwanzig Menschen, viele Kinder, alle still und gespannt. Als sich der Nebel auflöste, kam der Regen, ein plötzlicher, heftiger Wolkenbruch. Also alle eilig zurück ins Wal-Zentrum, Info-Tafeln lesen, den Guides zuhören. Dann kam die Sonne. Alle wieder raus, warten und gucken.
Auf den Felsen herrscht ein wunderbar relaxtes Tag-am-Strand-Gefühl, gemischt mit Vorfreude und Spannung, ob der Nebel-Wal noch mal vorbei schaut. Am Cap de Bon Desir kann man recht häufig Zwergwale beobachten, die nur wenige Meter vom Ufer entfernt herum schwimmen. Zudem hat man hier tatsächlich die Chance, Blauwale zu sehen. Von Land aus. Das geht nicht an vielen Orten auf der Welt.
Ein entspannter Nachmittag auf den Felsen am Cap de Bon Desir. Erst konnten wir den immer wieder vorbei schwimmenden Zwergwal im dichten Nebel nur hören, später dann auch noch sehen. Toller Tag! Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Die Guides nahmen sich jede Menge Zeit. Erklärten vor allem den Kindern, was es hier alles zu entdecken gibt und worauf sie auf dem Wasser achten müssen. Große Augen. Unsere Touren im Boot waren eher wie ein Zoo-Besuch: Gleich kommen wir ins Zwergwal-Gehege. Das hier auf den Felsen ist echt. An den Kinderaugen kann man sehen, was spannender ist.
Der Zwergwal lässt sich noch ein paar Mal blicken. Er schwimmt mehrfach an den Felsen auf und ab und schnauft dabei wie zuvor im dichten Nebel. Kinder, Eltern und Guides sitzen entspannt auf den Felsen herum und schauen zu. Kaum jemand macht ein Foto.
Belugas im Saguenay Fjord. Wir sahen an diesem Tag über fünfzig von ihnen beim Spielen zu. Stundenlang. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Québec: Belugas
In Québec leben viele Belugas, nirgends sonst auf der Welt trifft man sie so weit südlich. Am besten beobachtet man sie von Land aus.
Belugas sind arktische Wale, die eigentlich nur direkt an der Eisgrenze vorkommen. In Québec gibt es trotzdem zwischen 700 und 900 von ihnen, nirgendwo sonst auf der Welt findet man sie so weit südlich. Sie leben das ganze Jahr über hier. Wahrscheinlich haben sie sich irgendwann nach der letzten Eiszeit hierher verirrt, jetzt leben sie vollkommen isoliert von ihrer Verwandtschaft im Saguenay-Fjord des Sankt-Lorenz-Stroms.
Der Saguenay ist der Arktis in seiner Beschaffenheit und der dort vorkommenden Flora gar nicht so unähnlich, er ist nur sehr viel weiter südlich und zumindest im Sommer etwas wärmer. Dennoch scheinen die Belugas hier ganz gut zurecht zu kommen – aufgrund von Genetik und Krankheiten haben so kleine, isolierte Gruppen dauerhaft allerdings keine hohe Überlebens-Chance. Die Gruppe schrumpft unaufhörlich.
Die Belugas des Sankt-Lorenz-Stroms sind daher streng geschützt, Boote dürfen sich ihnen nicht nähern, der Mindestabstand beträgt 400 Meter. Die Belugas halten sich jedoch nicht immer an diese Regelung, daher müssen Boote, denen sich Belugas von selbst nähern, so schnell und behutsam wie möglich abdrehen.
Belugas sind wahnsinnig neugierige und verspielte Tiere. Es kann vorkommen, dass sie sich so intensiv mit Booten beschäftigen, dass sie darüber vergessen, sich um ihren Nachwuchs zu kümmern. Wir haben bei jeder unserer drei nicht so guten Boots-Touren Belugas gesehen. Jedes Mal haben wir großen Abstand gehalten, und jedes Mal sind wir nach zwei, drei Minuten weiter gefahren. Wenigstens das schien hier zu funktionieren.
Am besten beobachtet man Belugas also von Land aus. Sie sind selbst von weitem sehr gut zu erkennen und meist in großen Gruppen von fünfzig und mehr Tieren unterwegs. Da ist eine Menge los im Wasser.
Wer sich im Sommer z.B. einen kompletten Tag lang auf die Felsen am Pointe de l’Islet in Tadoussac setzt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit Belugas sehen. Der Pointe de l’Islet liegt direkt am Eingang zwischen Saguenay-Fjord und Sankt-Lorenz-Strom, und die Belugas schwimmen mindestens einmal am Tag raus oder rein.
Nach vier Stunden hatten wir uns langsam mit dem Gedanken angefreundet, dass wir heute kein Glück haben würden. Dann kamen sie doch. Erst ein weißer Rücken, dann ein zweiter, ein dritter, dann viele, viele weitere. In wenigen Minuten war die ganze Bucht voller Belugas. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Noch besser ist ein Ausflug zur Baie de Sainte Marguerite. Im Sommer werden hier jeden zweiten Tag Belugas gesichtet. Und das meist für eine längere Zeit, manchmal bleiben sie über Stunden in der Bucht. Haben wir also einen Tagesausflug in die Baie de Sainte Marguerite gemacht und uns den ganzen Nachmittag auf die Felsen vor dem kleinen Ausguck gesetzt.
Nach vier Stunden hatten wir uns langsam mit dem Gedanken angefreundet, dass wir heute kein Glück haben würden. Dann kamen sie doch. Erst ein weißer Rücken, dann ein zweiter, ein dritter, dann viele, viele weitere. In wenigen Minuten war die ganze Bucht voller Belugas. Auf den Felsen dieselbe Stimmung wie am Cap de Bon Desir: andächtiges Schweigen.
Belugas werden auch »Kanarienvögel der Meere« genannt. Sie singen, quietschen und pfeifen ohne Unterlass, stundenlang, in wirklich allen erdenklichen Varianten, man kann das sogar aus einiger Entfernung und sehr gut über Wasser hören. Meistens klingen sie wie R2D2 aus Star Wars, manchmal auch wie Chewbacca. Faszinierende Tiere, surrealer Tag.
Die Belugas blieben mehrere Stunden in der Bucht. Die meisten Whale Watcher gingen am frühen Abend fröhlich nach Hause. Wir auch. Die Belugas spielten einfach weiter.
Der gigantische Rücken eines Blauwals. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Québec: Blauwale
Der Blauwal, das größte Tier aller Zeiten. Man weiß Bescheid und ist vorbereitet. Bis zu dem Moment, wo er neben dem Boot auftaucht.
Wir hatten sehr gehofft, in Québec Blauwalen zu begegnen. Vor ein paar Wochen in Island hatten wir sie noch ganz knapp verpasst: Zwei, drei Tage nach unserer Abreise aus Husavik bekamen wir die Nachricht, dass mehrere Blauwale in die Skjalfandi Bucht gekommen waren und dort über eine Woche lang bei jeder Tour gesichtet wurden.
Island ist neben den Azoren der beste Ort in Europa, um Blauwalen zu begegnen. Der Sankt-Lorenz-Strom in Québec gehört in dieser Hinsicht jedoch zu den besten Orten der Welt. Entlang der Walroute kann man sie vor allem zwischen August und Oktober sehen, vor Cap Gaspé sogar schon von Mai an. In den meisten Sommern werden Blauwale hier täglich gesichtet.
Ich war noch eine gute Woche lang beeindruckt von unserer ersten Sichtung. Man weiß das ja eigentlich alles vorher: der Blauwal ist das größte Tier, das je auf dieser Welt gelebt hat, größer als alle Dinosaurier, dreißig Meter lang, 190 Tonnen schwer – aber man braucht schon gute Vergleiche, um sich diese Größe auch wirklich mal klar zu machen.
Ich habe hier auf dieser Seite zum Beispiel durchgerechnet, dass ein Blauwal in Maximal-Ausstattung ungefähr so schwer ist, wie eine leere Boeing 757, zehn Mittelklasse-Wagen, zwanzig Elefanten und hundert Menschen. Zusammen! Anderswo kann man lesen, dass das Herz eines Blauwals so groß wie ein Kleinwagen und seine Zunge so schwer wie ein Elefant ist.
Im Walmuseum in Husavik haben wir vor dem Skelett eines Blauwals gestanden und festgestellt, dass man in seinem Maul locker unseren Mini-Camper parken könnte. Man ist da theoretisch also vorbereitet. Und dann kommt der Moment, wo keine 20 Meter neben dem Boot ein lebendiger Blauwal auftaucht. Da hilft dann alle Vorbereitung nichts.
Derselbe Blauwal wie auf dem Foto oben, nur ein paar gefühlte Ewigkeiten später. Der Rücken dieses Giganten ist wirklich unfassbar lang. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips
Zum ersten Mal habe ich beim Whale Watching so ein kleines bisschen Schrecken in Theresas Augen gesehen. Sie hatte glaube ich wirklich kurz Angst. Natürlich bestreitet sie das. Vielleicht habe ich mich auch verguckt. Auf diesen Giganten war jedenfalls niemand vorbereitet.
Zuerst dieser Blas. Irre hoch, man schaut nicht nach vorn, sondern nach oben, in die Sonne. Und dann dieser Rücken. Das ist ein wirklich endlos langer Rücken, der sich da durch das Wasser schiebt. Bei anderen Walen ist das eine kurze Sache: auftauchen, Blas, Rücken, Fluke, weg. Selbst bei Finnwalen. Die sind zwar mit 20 bis 25 Metern ähnlich groß, bewegen sich aber deutlich schneller. Bei einem Blauwal ist das anders: auftauchen, grotesk hoher Blas, Rücken, Rücken, Rücken, mehr Rücken, noch mehr Rücken, immer noch Rücken, keine Fluke, weg.
Wir haben an diesem Tag fünf Blauwale gesehen. Auf einer unserer drei wirklich nicht so guten Boots-Touren in Tadoussac und Bergeronnes. Ich hoffe, wir werden irgendwann noch mal Blauwale auf einer richtig guten Tour sehen, mit richtig guten Guides.
Bis dahin möchte ich diesen Moment aber erstmal nicht missen.
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PS: Das mit den Blauwalen auf einer richtig guten Tour mit richtig guten Guides hat ein paar Jahre später tatsächlich noch geklappt. Und wie!!
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