NORDWÄRTS

Der Plan war, mal ein bisschen nach Norden zu fahren und zu schauen, wie weit man so kommt. Eine Sommer-reise von Norwegen bis fast zum Nordpol.

Im kleinen Schlauchboot vor einer gigantischen Wand aus Eis: Sommer in Spitzbergen, Norwegen. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Walfahrt: Norwegen

»Bergen! Bergen ist die schönste Stadt der Welt! Ihr müsst in Bergen anfangen!« hatte ein Freund gesagt, als ich ihm von der geplanten Reise nach Norden erzählte, bei der ich aber noch nicht wusste, wo man da am besten anfängt.

Der Freund hat in Norwegen studiert und ist danach auf jedem Kontinent und in jeder wichtigen Stadt der Welt gewesen. Der weiß Bescheid. Haben wir die Reise also in Bergen begonnen.

Und ja, Bergen, genau so geht’s: bunte Holzhäuschen, krumme schmale Gassen, alles verworren und verwinkelt; überall Grün, in jeder Straße, in jeder Ecke, in jedem Eimer wird irgendwas gepflanzt; dann dieser kleine schmucke Hafen, der gemütliche Fischmarkt, das alte Handelskontor Bryggen (Weltkulturerbe!); dazu rund um die Stadt nur ein paar hundert Meter nach oben, entweder mit der Zahnradbahn oder der Gondola, schon steht man mittendrin in dieser norwegischen Bilderbuch-Landschaft, in der man stundenlang herumwandern kann, ohne auch nur einen Menschen zu sehen – alles wirklich wahnsinnig schön!

Bergen ist auch deshalb der ideale Ort, eine Reise nach Norden zu beginnen, weil hier die Hurtigrute beginnt, die alte Postschiff-Linie, die seit über hundert Jahren den Norden des Landes mit dem Süden verbindet. Haben wir nach ein paar Tagen in Bergen also ein Schiff nach Norden genommen.

Abends in der schönen Altstadt von Bergen. Bunte Holzhäuschen, krumme schmale Gassen, alles verworren und verwinkelt; überall Grün, in jeder Straße, in jeder Ecke, in jedem Eimer wird irgendwas gepflanzt. Ja, Bergen, so geht’s! Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Die Fahrt mit der Hurtigrute gilt als eine der schönsten Seereisen der Welt: Man kann von Bergen aus zwölf Tage lang nach Norden fahren und dabei zwölf Tage lang eine unfassbare Landschaft bestaunen.

Das Schiff fährt stets nah an der Küste entlang, tief in den Geiranger- und Trollfjord hinein, man hält in Ålesund, Trondheim, Tromsø, wirklich immer und überall dramatische Fjorde, und ab dem Polarkreis ist alles taghell, die ganze Zeit, bis hoch zum Nordkap. Das Nordkap gilt als nördlichster Punkt Europas, das ist allerdings nicht ganz richtig, der nördlichste Punkt ist Spitzbergen, die zu Norwegen gehörende Inselgruppe hoch oben in der Arktis – bis dorthin sind es noch mal knapp 1.000 Kilometer weiter.

Neben Touristen bringt die Hurtigrute vor allem Güter in den Norden, die Schiffe fahren permanent hin und her, und man kann auch nur für ein, zwei, drei Stationen an Bord gehen, auch ohne Kabine, wie in der Bahn, für viele Strecken sind die Schiffe nach wie vor das einfachste Verkehrsmittel.

Kein Schnickschnack, dafür ganz viel Charme und Glanz und Klasse: Willkommen an Bord der MS Lofoten!

Die meisten Schiffe der Flotte sind recht neu, und je neuer die Schiffe, desto kreuzfahrtschiffiger die Ausstattung – Panorama-Fenster, Whirlpool an Deck, Suiten mit Balkon, diese Dinge. Es gibt aber auch noch ein paar ältere, kleinere, nostalgischere Schiffe, und das älteste, kleinste, nostalgischste ist die MS Lofoten, 1964 in Oslo vom Stapel gelaufen, komplett ohne Schnickschnack, dafür mit ganz viel Charme und Glanz und Klasse. Die haben wir genommen.

Auch wenn es immer mal etwas rumpelte und ruckelte (die MS Lofoten ist das einzige Hurtigruten-Schiff ohne Stabilisatoren) und man morgens schon mal mit blauem Fleck am Knie aufwacht, weil es nachts ein bisschen geschaukelt hat: Ich bin nie zuvor mit so viel Charme gereist, was für ein prächtiges altes Schiff.

Nach vier Tagen dann, gegen Mitternacht, alle Passagiere aufgeregt an Deck – durch den Raftsund, in den Trollfjord, Svolvaer, Ankunft auf den Lofoten.

Im späten Abendlicht: Der Hafen von Svolvær im Süden der Lofoten. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Norwegen: Lofoten

Dramatische Berge, malerische Fjorde, einsame Strände und weit und breit nichts als Natur: Willkommen auf den Lofoten!

Über die Lofoten hatte ich mich im Vorfeld erst über Bücher und dann vor allem über Instagram informiert. Es gibt da einige Accounts, die sehr vorbildlich kuratieren, auf @ilovenorway, @northernnorway oder @visitnorway findet man z.B. permanent tolle Fotos, die mit den Hashtags der jeweiligen Region versehen sind, so dass man leicht interessante Accounts von den Leuten direkt vor Ort findet, manchmal ein Tourist, manchmal ein Fischer, manchmal ein Tourguide, man bekommt da schnell ein sehr authentisches und aktuelles Bild. Ich habe parallel auch Pinterest ausprobiert, dort werden aber immer nur dieselben 100 oder 200 Fotos weitergepinnt, für die erste Inspiration okay, zur wirklichen Reise-Vorbereitung taugt das aber nicht.

Die besten Instagram-Bilder stammen aus dem Süden der Lofoten, vor allem aus dem Örtchen Reine. Da sind wir hin. Im Süden sind die Lofoten am dramatischsten, die Berge ragen unmittelbar aus dem Meer heraus, meist gar nicht so hoch, vier-, fünf-, sechshundert Meter, dafür aber extrem direkt, massiv und steil. Klettertechnisch ist das für mich (Höhenangst!) eine Nummer zu hoch.

Bei der Bildersuche auf Instagram findet man schnell die grandiose Aussicht vom Reinebringen, das ist der Hausberg von Reine und DAS Bild der Lofoten, der imposanteste Ausblick, da wollen alle rauf. Wir natürlich auch. Ich habe mich aber sowohl vorab als auch vor Ort umfassend informiert: Der Reinebringen und generell Moskenesøya, der südliche Zipfel der Lofoten, ist nichts für Menschen mit Höhenangst. Viel zu steil, stellenweise nur auf allen Vieren begehbar, insgesamt zu geröllig, zu rutschig und zu ungesichert, zumindest für mich. Dennoch: So hätte das ausgesehen, von oben, vom Reinebringen, bei klarer Sicht.

Aber auch ohne Klettern: Reine und das direkt angrenzende Hamnøy sind zwei superschöne Orte, die sich über viele kleine felsige Inseln ziehen, die allesamt bis zum alleräußersten Rand mit kleinen roten Fischerhütten vollgebaut sind, und überall dort, wo keine kleine rote Fischerhütte steht, stehen Gerüste mit Stockfisch herum, der erst zum Trocknen aufgehängt und dann in die halbe Welt exportiert wird. Wohin man schaut und riecht: Stockfisch. Haben wir in Reine also ein paar Tage zwischen kleinen roten Fischerhütten und Stockfisch-Gerüsten gewohnt.

Eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch und insgesamt vielleicht der schönste Ort der Lofoten: Henningsvaer!

Neben wahnsinnig steilen Bergen gibt es auf den Lofoten vor allem wahnsinnig schöne Strände. Auf den Inseln Flakstadøya und Vestvågøya kommt man z.B. an den Stränden von Ramberg, Flakstad, Haukland und Utakleiv vorbei, alle vier sehen beinahe karibisch aus, alle vier sind aber genau gleich arktisch-eiskalt, ich habe das getestet, man kann da nicht schwimmen, Golfstrom hin oder her. Man sollte da trotzdem unbedingt mal hinfahren und sich ein paar Stunden in den Sand setzen und das türkisfarbene Eiswasser anschauen.

Im Lofoten-Buch ausdrücklich hervorgehoben und gelobt wurde der Strand von Kvalvika: Man würde da zwischen zwei Bergen hindurch gemütlich einen Hügel hinauf wandern, und auf der anderen Seite wäre nach einem leichten Abstieg im Tal dann Kvalvika, einer der schönsten Strände der Insel, insgesamt würde das rund zwei Stunden dauern. Sind wir da also hin.

Mal so ganz allgemein zum Thema Wanderrouten in Büchern, ich schweife da jetzt kurz mal ab: Die Beschreibungen der allermeisten Routen erscheinen mir in den allermeisten Büchern etwas unübersichtlich. Es wird insgesamt immer sehr viel beschrieben und sehr wenig gezeigt. Wenn man in der Natur dann aber irgendeinen unscheinbaren Stein / Busch / Pfahl verpasst, der im Buch aber als DIE entscheidende Markierung gilt, ist man ganz schnell raus.

Die Wanderwege auf den Lofoten sind meist einfache Trampelpfade mitten in der Natur, manchmal steht da ein Steinmännchen zur Orientierung, manchmal ist da ein Kreuz auf den Boden gepinselt, manchmal ist da aber auch gar nichts, außer ein paar zertrampelten Grashalmen. Daran muss man sich orientieren. Richtige Schilder von richtigen Tourismusverbänden an richtigen Wegen mit richtigen Kilometerangaben gibt es eher selten.

Im Süden sind die Lofoten am dramatischsten, die Berge ragen unmittelbar aus dem Meer heraus, meist gar nicht so hoch, vier-, fünf-, sechshundert Meter, dafür aber extrem direkt, massiv und steil. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Zudem trifft man auf den Lofoten im Juni auch eher wenig andere Wanderer, die man mal nach dem Weg fragen könnte, wenn man sich verfranst hat. Man ist meistens ganz wunderbar allein mit sich und der Natur.

Jedenfalls: Kvalvika! Wir waren dann vier statt zwei Stunden unterwegs, der Hügel war kein Hügel sondern ein Berg, und auf der anderen Seite ging es ziemlich ruppig und felsig wieder runter, schon nach wenigen Metern hatten wir den Weg verloren. Unten angekommen, fing es urplötzlich stark an zu regnen. Mega-Outdoor-Gefühl dann aber, als wir einen Felsen zum Unterstellen gefunden, die trockenen Wechselklamotten angezogen, einen Energieriegel gegessen und den Regen ausgesessen hatten. Danach wurde das noch ein sehr schöner Tag an einem überragend schönen und einsamen Strand.

Henningsvaer war uns auf der Winterreise nach Senja sehr dringend empfohlen worden: Wenn wir im Sommer auf den Lofoten wären, dann müssten wir unbedingt nach Henningsvaer, das wäre der schönste Ort der Inseln. Henningsvaer erstreckt sich über mehrere Schären, die bunten Holzhäuser sind eng um den kleinen Hafen herumgebaut, direkt im Hintergrund die Berge, alles wie im Bilderbuch.

Ein paar Kilometer weiter liegt Svolvaer, das als Hauptstadt der Lofoten gilt, ebenfalls ein hübsches Städtchen, bei dem sich die roten Fischerhütten aber vor allem rund um den Hafen herum gruppieren, abseits des Hafens ist Svolvaer dann doch etwas, nun ja, funktionaler. Wir sind vier Tage in Henningsvaer geblieben, in einem roten Holzhaus auf Stelzen über dem Wasser.

Henningsvaer liegt auf Austvågøya, der östlichsten Insel der Lofoten, die durch den Raftsund von den Vesterålen getrennt wird. Austvågøya ist von der Landschaft her nicht mehr ganz so dramatisch wie die südlicheren Inseln, die Berge ragen nicht mehr ganz so extrem aus dem Meer heraus, es ist alles etwas rundlicher, hügeliger, einladender, zumindest für Wanderer mit Höhenangst. Wir haben uns erst am Glomtinden, dann am Festvågtinden versucht, in den Wanderbüchern wurden beide als familientaugliche Halbtageswanderungen beschrieben, und ich habe beide zu ca. 80 Prozent geschafft. Danach wurde es mir dann doch ein bisschen zu hoch und zu steil und zu schwindelig. Man hat auf dem Glomtinden und auf dem Festvågtinden aber auch bei 80 Prozent einen ganz guten Blick.

Der Strand von Bleik ganz im Norden der Vesterålen. Von hier aus kann man ganz hervorragend Puffins beobachten. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Norwegen: Vesterålen

Nordöstlich der Lofoten liegen die Vesterålen, nicht ganz so dramatisch wie der Süden, aber voller großartiger Strände – und die Heimat der besten Vögel der Welt.

Irgendwann haben wir die sehr sehr gute Internetseite 68north.com gefunden, auf der der Profi-Lofoten-Wanderer Cody Duncan die besten Wanderrouten auf den einzelnen Inseln vorstellt. In seinem Blog findet man nicht nur ehrliche Wegbeschreibungen samt Karte, sondern vor allem auch Bilder vom Aufstieg und vom Gipfel. Und das ist ja das, was mir in den meisten Büchern fehlt: Ich möchte bei jeder Route doch zuallererst ein Bild vom Gipfel sehen und anhand dieses Bildes dann entscheiden, ob ich da nun rauf muss oder nicht. In den meisten Büchern wird zu viel beschrieben und zu wenig gezeigt. Bei Cody Duncan dagegen beginnt jeder Blog-Eintrag mit einem perfekten Gipfel-Foto bei idealem Licht und allerbestem Wetter. Cody Duncan weiß wie’s geht!

Wir haben auf 68north.com dann die Wanderung zum Holandsmaelen gefunden, ein der Beschreibung nach für mich eventuell machbarer Berg, von dem aus man einen super Blick über den Strand von Haukland hat. Natürlich wurde mir auch hier kurz vor dem Gipfel mulmig, denn mir wird leider immer mulmig, wenn es plötzlich auf drei von vier Seiten nur noch bergab geht, doch beim Holandsmaelen ist es so, dass man bei 80 Prozent noch überhaupt gar keinen Blick hat, beim Holandsmaelen braucht man die vollen 100, ich habe also die Rocky-Musik vor mich hin gesummt und die 100 Prozent voll gemacht und war dann wirklich sehr stolz.

Nordöstlich der Lofoten liegen die Vesterålen, die oft so ein bisschen vergessen werden, dabei sind sie der deutlich größere Teil der beiden Inselgruppen und kein bisschen weniger spannend. Auf den Vesterålen gibt es zum Beispiel viel mehr Tiere als auf den Lofoten, auf den Lofoten gibt es ja nicht mal Elche, auf den Vesterålen dagegen schon, zudem kann man von Bleik und Andenes aus Puffins und Pottwale beobachten. Nächster Halt also Bleik und Andenes, ganz im Norden der Insel.

Die Straßen von Andenes. Es gibt eine Bäckerei, die gleichzeitig Kiosk und Café ist, die Touristen-Info ist im Postamt untergebracht, alle fünf Minuten fährt irgendwo mal ein Auto entlang, und zum Flughafen geht man zu Fuß. Man hat in Andenes sofort den Überblick. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Ich hatte im Vorfeld von Andenes nicht ganz so viel erwartet wie z.B. von Reine, Henningsvaer oder Svolvaer – wahrscheinlich, weil es auf Instagram nicht halb so viele Postings von den Vesterålen gibt wie von den Lofoten. Alle fahren immer nur auf die Lofoten. Ich glaube allerdings, dass mir Andenes in seiner rigorosen Klar- und Einfachheit noch etwas besser gefallen hat, als die chaotisch in die Landschaft eingepassten Fischerdörfchen weiter im Süden. In Andenes sind alle Straßen gerade und gerastert, wie in Manhattan, nur alles etwas kleiner, flacher und ruhiger, hier leben gerade mal 2.500 Menschen. Es gibt eine Bäckerei, die gleichzeitig Kiosk und Café ist, die Touristen-Info ist im Postamt untergebracht, alle fünf Minuten fährt irgendwo mal ein Auto entlang, und zum Flughafen geht man zu Fuß. Man hat in Andenes sofort den Überblick. Zudem gehört der Strand, den man von Andenes aus fast bis nach Bleik wandern kann, zu den längsten und schönsten in ganz Norwegen.

Zwanzig Kilometer südlich von Andenes liegt Bleik, und Bleik ist vor allem wegen der vielen Puffins berühmt: Über 80.000 Paare brüten auf einem kegelförmigen Berg direkt vor der Küste. Je näher man mit dem Boot kommt, desto größer wird das Gewirr und Gewusel, der ganze Himmel, die ganze See, überall Puffins. Ich bin normalerweise nicht so sehr an Vogelbeobachtung interessiert, bei Puffins muss ich allerdings eine Ausnahme machen, Puffins sind phantastisch. Puffins sind ungeschickt, aufgeregt und stets bemüht. Sie geben alles, bekommen es aber einfach nicht hin. Man würde sie gern in den Arm nehmen, wenn sie nicht so fürchterlich schreckhaft wären. Wahnsinnig sympathisch.

Auf den Vesterålen ist es so, dass nicht mal eine Stunde von der Küste entfernt der Bleik Canyon liegt, eine monumentale Tiefseeschlucht, in der auch Pottwale zuhause sind.

Vom Boot aus habe ich einen Puffin gefilmt, der zunächst ganz ruhig auf dem Wasser saß, dann aber, je näher das Boot kam, schließlich doch Panik bekam und flüchtete. Anstatt nun aber souverän nach links auszuweichen und sich wenige Meter weiter entspannt niederzulassen, flatterte dieser phantastische Puffin hektisch vor dem Boot umher, ohne dabei aber so richtig abzuheben. Das ging mehrere Minuten so. Puffins sind die besten Vögel der Welt.

Neben den Puffins die Hauptattraktion auf Andøya: Wale! Von Andenes aus kann man Pottwal-Safaris machen, das geht nicht an vielen Orten auf der Welt. Pottwale sind die, die man aus Moby Dick kennt: sehr groß (20 Meter), sehr massig (50 Tonnen), sehr laut (220 Dezibel), mit Zähnen (25 cm) und eingebautem Echolot (daher der riesige Kopf). Am liebsten jagen sie in Tiefen von ein bis zwei Kilometern, weitab der Küste – und damit für Whale Watching Boote kaum zu erreichen.

Auf den Vesterålen ist es jedoch so, dass nicht mal eine Stunde von der Küste entfernt der Bleik Canyon liegt, eine monumentale Tiefseeschlucht, in der eine stabile Pottwal-Population zuhause ist, daher ist Andenes neben Kaikoura in Neuseeland, das ähnlich günstige Bedingungen hat, einer der besten Orte der Welt für eine Pottwal-Safari.

Der Blas eines ruhenden Pottwals. Ein paar Atemzüge später ist er weg. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Norwegen: Wale

Nordnorwegen ist einer der besten Orte der Welt, um Wale zu beobachten: Vor allem sieht man hier Pottwale – mit etwas Glück aber auch Orcas, Buckel- und Pilotwale.

Pottwale sind vor allem für Hobby-Fotografen die besten Wale, denn sie machen immer alles gleich: Erst tauchen sie für gut dreißig Minuten ab, wobei man sie recht leicht über Sonar orten kann – Pottwale orientieren sich unter Wasser über Echos, dabei geben sie unterschiedliche Klicklaute von sich, und sobald diese verstummen, wissen die zuhörenden Whale-Watcher, dass die Wale auf dem Weg nach oben sind. Dort angekommen, liegen sie für gut zehn Minuten regungslos an der Wasseroberfläche herum, wo sie leicht über den schräg zur Seite ausgestoßenen Blas zu orten sind.

Kurz vor dem erneuten Abtauchen nehmen sie etwas Anschwung, denn einen so großen Körper kann man nicht einfach so aus dem Stand in Bewegung setzen. Wenn man nicht gerade Jagd auf Pottwale macht wie die Walfänger zu Zeiten Herman Melvilles, ist das Verhalten der Pottwale also sehr sehr friedlich und vorhersehbar. Und wirklich immer strecken Pottwale vor dem Abtauchen die Schwanzflosse in die Luft. Und genau das gibt die besten Fotos.

Wenn man nicht gerade Jagd auf Pottwale macht wie die Walfänger zu Zeiten Herman Melvilles, ist das Verhalten der Pottwale doch ziemlich friedlich und vorhersehbar. Und wirklich immer strecken sie vor dem Abtauchen ihre Schwanzflosse in die Luft.

Man kann vor den Küsten von Bleik und Andenes aber auch andere Wale sehen. Im Winter kommen z.B. sehr verlässlich Orcas, Buckel- und Finnwale bis in die Fjorde von Tromsø und Senja, wodurch Nordnorwegen vor allem im Winter einer der besten Orte weltweit für Whale Watching ist. Aber man kann auch im Sommer Glück haben.

Es ist z.B. immer ein gutes Zeichen, wenn der Guide selbst sehr aufgeregt ist, so wie bei der zweiten Tour, die wir an Mitternacht gemacht haben: »Guys, we’ll do safety on board, we gotta be very quick, there are pilot whales in the fjord, pilot whales are big fun, so come on, hurry, let’s go!«, sagte er, und fünf Minuten später saßen wir zu acht im Zodiac und bretterten über den Fjord Richtung Festland. Taghell, windstill, surreales Licht – und irgendwann am Horizont:

Pilotwale sind oft in Gruppen von 150 Tieren unterwegs – und für zwei, drei Stunden im kleinen Zodiac mittendrin: wir. Wale überall und so nah am Boot, dass man sie hätte anfassen können. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Pilotwale sind vier bis sechs Meter lang und oft in Gruppen von 150 Tieren unterwegs – und für zwei, drei Stunden im kleinen Zodiac mittendrin: wir. Wale überall und so nah am Boot, dass man sie hätte anfassen können.

Apropos: Mitternachtssonne! Auf den Lofoten war es abends zwar oft klar genug, allerdings ging die Sonne immer genau auf der anderen Seite der massiven Bergwände unter. Wenn man dann nicht mitten in der Nacht zu einer Wanderung aufbricht (wie z.B. Cody Duncan), sieht man leider auch keine Mitternachtssonne, sondern nur das Mitternachtssonnenlicht (auch schön!).

In Andenes dann aber endlich freie Sicht. Ich habe mich nach der Pilotwal-Tour mit einem Isbjørn-Bier an den Hafen gesetzt, der Sonne zwei Stunden beim Unter-und-direkt-wieder-Aufgehen zugeschaut und dabei ein paar Kitschfotos gemacht. Und das genau an Mittsommer!

Mitternachtssonne im kleinen Hafen von Andenes. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Norwegen: Spitzbergen

Zu Besuch im Land der Eisbären: In Spitzbergen kann man per Schiff den 80. Breitengrad überqueren – und von dort aus kann man dann fast schon den Nordpol sehen.

Von Andenes aus braucht man gut drei Stunden mit dem Flugzeug, dann ist man in Spitzbergen (norwegisch: Svalbard, kalte Küste). Nur noch 500 Seemeilen zum Nordpol, wer von hier aus noch weiter will, braucht einen Eisbrecher.

Auf der Inselgruppe leben ca. 2.500 Menschen und 3.500 Eisbären. Wirklich alles hier dreht sich um Eisbären. Wer sich außerhalb einer Siedlung aufhält, muss entweder ein Gewehr tragen oder, besser, einen bewaffneten Guide dabei haben. Außerhalb einer Siedlung ist man, sobald man das letzte Haus einen (!) Meter hinter sich gelassen hat.

Die Eisbären halten sich allerdings nicht zu hundert Prozent an diese Regelung, manchmal kommen sie auch direkt in den Ort, man muss auf Spitzbergen daher immer und überall mit Eisbären rechnen.

Im Prinzip gibt es auf Spitzbergen nur Berge, Gletscher, Fjorde und Eis. Zuhause ist auf Spitzbergen wirklich sehr, sehr weit weg.

Es gibt mehrere Siedlungen auf der Insel, die größte ist Longyearbyen, und wenn man durch Longyearbyen läuft, fühlt es sich an, als wäre man in Mos Eisley, dieser abgelegenen Raumstation aus den alten Star-Wars-Filmen. Neben Longyearbyen gibt es zwei russische Siedlungen, Barentsburg und Pyramiden, beide komplett aus der Zeit gefallen, als wäre man in der Sowjetunion der Achtziger Jahre. Weiter im Norden liegt Ny-Ålesund, eine Forschungsstation mit einer Handvoll Forschern aus aller Welt.

Ansonsten gibt es auf Spitzbergen nur Berge, Gletscher, Fjorde und Eis. Zuhause ist auf Spitzbergen sehr weit weg.

Das Ortsschild am Flughafen von Longyearbyen. Zuhause ist auf Spitzbergen sehr, sehr weit weg – und zwar ganz egal, wo dieses Zuhause eigentlich ist. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Im Sommer kann man Spitzbergen bei guten Eisverhältnissen mit dem Schiff umrunden und dabei ganz im Norden den 80. Breitengrad überqueren. Noch weiter nördlich kommt man normaltouristisch nirgendwo auf der Welt. Wir haben eine kleine Kabine an Bord der MS Nordstjernen genommen, mit Stockbetten und Bullauge. Die MS Nordstjernen wurde 1956 bei Blohm & Voss in Hamburg gebaut und ist tatsächlich noch etwas schöner und charmanter und glanzvoller als die MS Lofoten.

Auf einer Schiffsreise um Spitzbergen sieht man vor allem Eis. Alles ist entweder weiß oder blau oder grau, die ganze Zeit. Ich hatte mir in Longyearbyen mehrere Lagen dieser ultra warm haltenden Expeditions-Unterwäsche gekauft und stand damit so lange es irgendwie geht an Deck. Wenig schlafen, schnell essen, nichts verpassen, ich bin nie zuvor so unterkühlt und übermüdet von einer Reise zurückgekehrt. Wir waren im Isfjord, im Kongsfjord, im Krossfjord, im Magdalenenfjord, im Liefdefjord, im Woodfjord, es war überall phantastisch und ich war die ganze Zeit wach.

Der Magdalenenfjord im nächtlichen Nebel. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Norwegen: Eisbären

Schon im Jahr 2040 könnten die arktischen Meere während des Sommers vollständig eisfrei sein. Nicht nur für Eisbären dürfte es dann ungemütlich werden.

Einen Eisbären hatten wir schon gleich am ersten Morgen gesehen. Er lief am Ufer des Woodfjords entlang, einfach so, ich habe ihn als erstes entdeckt, noch vor den Guides, und war darüber ziemlich stolz. Wir sind mit dem Schiff eine halbe Stunde nebenher gefahren, und ich habe wahrscheinlich 500 Fotos gemacht. Ein unwirklicher, unvergesslicher Moment. Ich hoffe, es ist auch in zwanzig Jahren noch möglich, Eisbären in freier Wildbahn zu sehen.

Ich habe gelesen, dass die arktischen Meere eventuell schon 2040 während des Sommers vollständig eisfrei sein könnten. Man könnte dann wohl fast bis zum Nordpol schwimmen, alles frei, nirgendwo Eis, alles geschmolzen. Ohne Packeis wird es für die Eisbären allerdings sehr schwer werden, Nahrung zu finden.

Am liebsten jagen sie Robben, dafür legen sie sich irgendwo auf dem Eis neben ein Loch und warten, bis eine Robbe zum Luftholen auftaucht. Stundenlang liegen sie geduldig und regungslos da, mit den Tatzen verbergen sie dabei die Nase, das einzige an ihnen, das nicht weiß ist. Eisbären sind schlau. Wenn dann irgendwann mal eine Robbe auftaucht, sind sie trotzdem nur in zehn Prozent der Versuche erfolgreich. Robben sind nicht blöd.

Das ist also alles auch so schon nicht so einfach, selbst mit Eis. Ohne Eis müssten sich Eisbären aber vollständig über Land und Wasser versorgen, fast unmöglich.

Eisbären brauchen Robben, um zu erleben – und dafür brauchen sie Eis. Das Eis der Arktis schmilzt allerdings immer schneller und schneller und schneller.

Ich habe zwar auch gelesen, dass Eisbären extrem gute Schwimmer sind, die wahnsinnig lange Distanzen zurücklegen können (der Rekord liegt wohl bei knapp 700 Kilometern in zehn Tagen – am Stück!), und auf kürzere Strecken können Eisbären sogar schneller schwimmen als die Weltrekordschwimmer Ian Thorpe und Michael Phelps (!), trotzdem ist es im Wasser schwierig mit der Jagd, denn fast alle anderen Tiere drumherum sind weitaus schneller und wendiger.

An Land wiederum gibt es nicht viel außer Rentieren, doch die sind zu schnell und zu ausdauernd, keine Chance für Eisbären. Auch die Chancen im Kampf gegen ein Walross stehen nicht gut, ein Walross ist an Land zwar langsam, mit seinen riesigen Zähnen aber ein mächtiger Gegner. Um überleben zu können, brauchen Eisbären vor allem Robben – und daher Eis.

Alte Trapper-Hütten mitten im arktischen Nirgendwo. Diese hier gehören noch zu den größeren und luxuriöseren. Die meisten anderen sind nicht viel größer als ein Pappkarton, windschief und wacklig in die Gegend gezimmert. Hungrigen Eisbären halten sie angeblich trotzdem stand. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Neben Spitzbergen gilt die Gegend um Churchill, Kanada, als zweite Eisbären-Metropole der Welt. Dort leben um die Tausend Eisbären, die auf dem Eis der Hudson Bay jagen. Auch die Hudson Bay ist von Jahr zu Jahr immer früher immer länger eisfrei, so dass die Eisbären immer ungeduldiger und hungriger am Ufer herumwandern und auf das Eis warten. In der Zwischenzeit fressen sie dann notgedrungen Moos, Gras und Beeren und laufen in der Tundra herum, wo sie so deplatziert wirken, wie im Zoo.

Ich hoffe, dass man Eisbären auch künftig noch dort sehen kann, wo sie hingehören – in Schnee und Eis. So wie wir an diesem Morgen am Ufer des Woodfjords.

Vor Reisebeginn hatte ich irgendwo im Internet den WWF-Species-Tracker entdeckt, das ist eine Karte, auf der die Wanderung stark gefährdeter Arten dokumentiert wird, u.a. von Walrossen und Eisbären. Man kann auf dieser Karte ganz gut nachvollziehen, wie wahnsinnig weit Eisbären im Eis herumwandern und wie extrem eingeschränkt sie ohne dieses Eis wären.

Der Eisbär am Ufer des Woodfjords trug einen solchen Tracker und war wahrscheinlich die zehn Jahre alte Eisbär-Dame namens N23882, ich habe das nach unserer Rückkehr abgeglichen. Auf dieser Karte kann man sehen, wo sie sich aktuell so herumtreibt.

Die zehn Jahre alte Eisbär-Dame N23882 am Ufer des Woodfjords. Ein unwirklicher, unvergesslicher Moment. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Norwegen: Walrosse

Mit etwas Glück kann man auf Spitzbergen eine Menge Tiere sehen. Finn- und Buckelwale schwammen beinahe im Minutentakt am Schiff vorbei, einmal sogar ein Blauwal, da bin ich allerdings nicht ganz sicher, vielleicht war es auch ein sehr blauer und sehr großer Finnwal. Und dann natürlich: Walrosse!

Walrosse sind nur in den nördlichen Polarregionen zu finden, stark gefährdet und sehr selten, man muss wirklich sehr weit fahren und einiges Glück haben, um Walrosse in freier Wildbahn zu sehen.

Ganz im Norden von Spitzbergen, oberhalb des 80. Breitengrades, liegt die Insel Moffen, die auch Walrossinsel genannt wird. Sie trägt diesen Namen allerdings nicht, weil es dort so viele Walrosse gibt, sondern weil dort die Walrossjagd des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts einen hässlichen Höhepunkt erreichte.

Tausende Walrosse lagen hier einst dicht aneinander gedrängt, die ganze Insel voll, Walrosse sind sehr soziale und gesellige Tiere. Dann kamen die Walfänger auf ihrer immer hemmungsloseren Jagd nach Tran und Öl: Als erstes töteten sie die äußere Reihe der Tiere, damit waren alle anderen im Inneren der Insel gefangen, über ihre toten Artgenossen hinweg konnten sie nicht fliehen. In aller Ruhe schlachteten sich die Jäger von Außen nach Innen voran, kein Tier blieb übrig, ein Massaker.

So machen das die Menschen, überlegt und gründlich und bisweilen maßlos, und so ging das überall im Norden, bis die Walrosse kurz vor dem Aussterben standen, wegen ein bisschen Tran und Elfenbein. Seit 1954 sind die Walrosse auf Spitzbergen geschützt. Die Insel darf seitdem kein Mensch mehr betreten, kein Boot darf näher als hundert Meter heran.

Ein einsames Walross schwimmt nachts durch den spiegelglatten Krossfjord. Auch wenn es teilweise wahnsinnig kalt war: Die viele Zeit an Deck hat sich gelohnt. Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Ich hatte eine Weile überlegt, was ein passender Schlusspunkt auf dieser Reise nach Norden sein würde. An welcher Stelle es einfach nicht mehr weiter gehen würde. Neben Eisbären und Walrossen war meine größte Hoffnung, das Packeis zu sehen. Da es stets hieß, die Nordstjernen würde den 80. Breitengrad nur bei günstigen Eiskonditionen überqueren können, hatte ich also immer ein bisschen auf ungünstige Eiskonditionen gehofft: das Schiff direkt an der Packeisgrenze, kein Durchkommen mehr, eine endlose, schroffe, wabernde Wand aus Eis, so wie sie Arthur Conan Doyle in seinem großartigen Walfänger-Tagebuch beschrieben hat, ein Anblick, der ihn sein Leben lang nicht mehr los ließ.

Die Überquerung irgendeines Breitengrades war mir nicht so wichtig, auch wenn es der Achtzigste ist. Die Eiskonditionen waren dann allerdings günstig, viel zu günstig, spiegelglatte See, weit und breit kein Packeis, noch nicht einmal eine Spiegelung am fernen Horizont, man hätte es wahrscheinlich auch bis zum 81. Breitengrad geschafft.

Es ist wirklich überhaupt gar keine Schwierigkeit, bei Minus 15 Grad stundenlang an Deck zu stehen und dabei permanent ein und dieselbe Eiswand anzustarren.

Am letzten Tag dann aber zumindest fast endloses Eis: Ausflug zum Lilliehöökbreen. Der Lilliehöökbreen ist ein 22 Kilometer langer Gletscher, der im Nordwesten der Insel in den Lilliehöökfjord mündet, eine gigantische Wand aus Eis, an der man stundenlang mit dem Boot entlangfahren kann.

Wir haben den halben Tag mit dem Schiff im Lilliehöökfjord verbracht, die ganze Zeit mit dem Blick auf diese riesige Wand aus Eis, und es ist wirklich überhaupt gar keine Schwierigkeit, bei Minus 15 Grad stundenlang an Deck zu stehen und ein und dieselbe Eiswand anzustarren. In kleinen Gruppen sind wir mit dem Zodiac rausgefahren, immer so nah heran wie möglich.

Auf den Fotos sieht es so aus, als wäre man mit dem Boot unmittelbar an der Wand, es sind allerdings mehrere hundert Meter Abstand, näher kann man nicht ran, immer wieder bricht Eis mit großem Krach und Gedonner und Getöse ab, der Gletscher kalbt, und die Wellen können dann gewaltig sein – alles in Bewegung, alles instabil, alles wahnsinnig beeindruckend.

Die Wand aus Eis. Der Lilliehöökbreen ist ein 22 Kilometer langer Gletscher im Nordwesten von Spitzbergen. Irre beeindruckend! Foto: Oliver Dirr / Whaletrips

Nächster Halt: Zuhause

Man ist sehr klein neben so einer Eiswand. Ich kann gigantische Eiswände als Schlusspunkt einer Sommerreise nach Norden ab jetzt wirklich sehr empfehlen.

Der Plan war, wie gesagt, mal ein bisschen nach Norden zu fahren und zu schauen, wie weit man so kommt. Von Bergen aus haben wir in vier Wochen gut zweitausend Kilometer geschafft, über den 80. Breitengrad hinaus. Weiter nördlich kommt man ohne Eisbrecher nirgendwo auf der Welt. Der letzte Halt einer phantastischen Reise.

Nächster Halt: Zuhause.

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